Kündigung der Lebensversicherung und Versorgungsausgleich (VA)
Das OLG Bremen, Beschluss vom 29.10.2015 – 4 UF 102/15, hat entschieden, dass
1. ein im Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung aufgelöstes und daher nicht mehr vorhandenes Anrecht nicht dem Versorgungsausgleich unterfällt,
2. die Verteilungsgerechtigkeit unter den Ehegatten dann verletzt wird, wenn das dem Versorgungsausgleich auf diese Weise entzogene Anrecht nicht durch den Zugewinnausgleich kompensiert wird,
3. die Verteilungsgerechtigkeit ist gem. § 27 VersAusglG dadurch wiederherzustellen, dass ein Anrecht des anderen Ehegatten um den ursprünglichen Ausgleichswert der gekündigten Lebensversicherung vor der Teilung zugunsten desjenigen, der sein Anrecht dem Versorgungsausgleich entzogen hat, verringert wird.
Sachverhalt:
Das Familiengericht hat ursprünglich durch Urteil die Ehe der Beteiligten geschieden und das Versorgungsausgleichsverfahren abgetrennt. Fünf Jahre später ist das Versorgungsausgleichsverfahren wieder aufgenommen worden und es sind die Versorgungsträger um neue Auskünfte zu den bei ihnen bestehenden Anrechten der ehemaligen Eheleute gebeten worden.
Ein Versorgungsträger hat Beschwerde gegen den Beschluss zum Versorgungsausgleich eingelegt. Diese wird darauf gestützt, dass das unter Ziff. 3. des amtsgerichtlichen Beschlusstenors zu übertragende Anrecht nicht mehr bestehe, weil die Versicherung durch Kündigung erloschen sei.
Ein weiterer Versorgungsträger hat ebenfalls Beschwerde eingelegt. Diese wird darauf gestützt, dass der amtsgerichtliche Beschluss auf einer Ehezeitauskunft basiere, die die Neuregelungen des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes über die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten noch nicht berücksichtigt habe.
Die Antragsgegnerin hat geltend gemacht, dass sich der Antragsteller durch die Kündigung seiner privaten Lebensversicherung bei erstgenannten Versorgungsträger treuwidrig verhalten habe, da er diese zu einem Zeitpunkt gekündigt habe, als die Ehe bereits geschieden und die Durchführung des Versorgungsausgleichs absehbar gewesen sei. Aus ihrer Sicht sollte der Versorgungsausgleich mindestens in der Höhe des Wertes der nunmehr dem Ausgleich entzogenen Lebensversicherung reduziert werden. Die Antragsgegnerin verweist zudem darauf, dass sie während der Ehe drei Kinder groß gezogen und zusätzlich halbtags gearbeitet habe, während der Antragsteller aufgrund seiner selbstständigen Tätigkeit viel unterwegs gewesen sei und sich daher an der Kindererziehung nur unwesentlich habe beteiligen können. Er habe seine eigene Altersversorgung in einer dem Versorgungsausgleich nicht unterliegenden Weise aufgebaut. Da die ehemaligen Eheleute Gütertrennung vereinbart hätten, könne sie an der Vermögensbildung des Antragstellers nicht partizipieren. Hinzu komme, dass die ehemaligen Eheleute lange getrennt gelebt hätten, so dass eine Abänderung der Durchführung des Versorgungsausgleichs aus mehreren Gründen sachgerecht sei.
Der Antragsteller ist dieser Stellungnahme entgegengetreten. Er habe sich zu keinem Zeitpunkt treuwidrig verhalten. Er habe nach der erfolgten Scheidung seine Lebensversicherung kündigen dürfen und habe nicht mehrere Jahre bis zur Entscheidung über den Versorgungsausgleich damit warten müssen. Er sei der Meinung, der berechnete Ausgleichswert sei ohnehin geringfügig und daher nicht mehr auszugleichen. Die Aufgabenverteilung in der Ehe sei durch die Eheleute einvernehmlich erfolgt. Die Antragsgegnerin habe für die Pflegekinder Pflegegeld erhalten und im Übrigen von seinem guten Einkommen und seinem übermäßigen beruflichen Einsatz profitiert. Von Unbilligkeit könne daher keine Rede sein.
Begründung:
Die Beschwerde der Versorgungsträger ist gemäß § 58 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Sie hat auch in der Sache Erfolg, da ein unstreitig nicht mehr vorhandenes Anrecht des Antragstellers bei dem Versorgungsträger nicht auf die Antragsgegnerin übertragen werden kann. Nur die im Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung noch dem Versorgungsausgleich unterfallenden Anrechte können in diesen einbezogen werden.
Die Beschwerde des weiteren Versorgungsträgers ist gemäß § 58 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Ihr ist auch dem Grunde nach in vollem Umfang stattzugeben. Denn der Versorgungsträger führt zu Recht in seiner Beschwerde aus, dass das RV-Leistungsverbesserungsgesetz in der amtsgerichtlichen Entscheidung noch nicht berücksichtigt worden ist, so dass sich grundsätzlich der zum Ausgleich zugunsten des Antragstellers vorhandene Ehezeitanteil erhöht.
Der Ausgleichswert, der im Wege der internen Teilung zulasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der weiteren Beteiligten und zugunsten des Antragstellers zu übertragen ist, verringert sich allerdings, da hier der Versorgungsausgleich wegen grober Unbilligkeit gemäß § 27 VersAusglG zu beschränken ist.
Die Anwendung des § 27 VersAusglG führt hier zur Reduzierung der zugunsten des Antragstellers auszugleichenden Entgeltpunkte, die die Antragsgegnerin während der Ehezeit bei der weiteren Beteiligten erworben hat.
Der Antragsteller hat im vorliegenden Fall sein bei dem erstgenannten Versorgungsträger bestehendes Anrecht gekündigt und damit bewirkt, dass der zum Ehezeitende bestehende Ausgleichswert mit einem vom Versorgungsträger vorgeschlagenen Kapitalwert, der im Übrigen nicht geringfügig i. S. d. § 18 Abs. 2 und 3 VersAusglG ist, nicht mehr im Rahmen des Versorgungsausgleichs ausgeglichen werden kann. Zum Zeitpunkt der Kündigung war die Ehescheidung bereits ausgesprochen, der Versorgungsausgleich aber noch nicht durchgeführt; er war mit Entscheidung vom Scheidungsverbundverfahren abgetrennt worden.
Dass der Antragsteller seine Lebensversicherung bei der weiteren Beteiligten vor Ergehen der Entscheidung über den Versorgungsausgleich durch Kündigung dem Versorgungsausgleich entzogen hat, stellt grundsätzlich kein unbilliges Verhalten im Sinne des § 27 VersAusglG dar.
Die Regelung des § 27 VersAusglG hat die Funktion eines Gerechtigkeitskorrektivs, da sie eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Entscheidung in solchen Fällen ermöglicht, in denen die schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs zur „Prämierung“ einer groben Verletzung der aus der ehelichen Gemeinschaft folgenden Pflichten führen oder gegen die tragenden Prinzipien des Versorgungsausgleichs verstoßen würde. Letztere sind auf eine gleichberechtigte Teilhabe der Eheleute an dem in der Ehe erworbenen Versorgungsvermögen ausgerichtet.
In seiner Entscheidung vom 1.4.2015 hat der BGH ausgesprochen, dass zwar die Ausübung des Kapitalwertrechts für sich genommen rechtens sei und in der Regel lediglich zu einem Wechsel in das Ausgleichssystem des Zugewinnausgleichs führe. Sei dieser aber ehevertraglich ausgeschlossen, werde das Anrecht durch die Ausübung des Kapitalwahlrechts ausgleichsfrei. Entziehe ein Ehegatte ein von ihm zum Zwecke der Alterssicherung erworbenes Anrecht durch Ausübung des Kapitalwahlrechts dem Versorgungsausgleich und werde dieser Entzug nicht durch den Zugewinnausgleich kompensiert, verschiebe sich die Verteilungsgerechtigkeit unter den Ehegatten und entfalle in demselben Umfang die Grundlage dafür, in umgekehrter Richtung an Anrechten des anderen Ehegatten teilzuhaben. Der BGH weist in diesem Zusammenhang insbesondere auch noch darauf hin, dass dem Ehemann nach Ausübung des Kapitalwahlrechts der sodann ihm allein zustehende Kapitalbetrag von ihm weiterhin für die Altersvorsorge eingesetzt werden könne. Hätte der Ehemann in einer solchen Konstellation zusätzlich noch durch die schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs ungeschmälert an den Versorgungsanrechten der Ehefrau Anteil, würde der wirtschaftliche Zweck einer gleichberechtigten Teilhabe an dem in der Ehe erworbenen Versorgungsvermögen nicht nur verfehlt, sondern in sein Gegenteil verkehrt. Unbillig und treuwidrig sei in diesem Falle nicht, das eigene Anrecht dem Versorgungsausgleich entzogen zu haben, sondern die damit verbundene Erwartung, gleichwohl in unverminderter Höhe an den Anrechten des anderen Ehegatten teilzuhaben. In einem derartigen Fall sei auch nicht die grundsätzlich für die Anwendung des § 27 VersAusglG geforderte Voraussetzung erforderlich, dass der Ausgleichsberechtigte nicht ausreichend abgesichert sei und dass der Pflichtige besonders stark auf das Behalten seiner Anrechte angewiesen sei.
Diese vom BGH entschiedene Fallkonstellation ist auf den vorliegenden Fall zu übertragen: Der Antragsteller hat hier trotz des noch nicht vorgenommenen Versorgungsausgleichs nach rechtskräftiger Scheidung seine in den Versorgungsausgleich fallende Versicherung bei der weiteren Beteiligten gekündigt und sie so dem Versorgungsausgleich entzogen. Der – im Übrigen nicht angegebene – Grund hierfür ist bedeutungslos. Der Betrag kann auch nicht im Rahmen des Zugewinnausgleichs ausgeglichen werden, da die ehemaligen Eheleute in dem Ehevertrag Gütertrennung vereinbart haben. Bereits durch das Handeln des Antragstellers ist also die Verteilungsgerechtigkeit zwischen den ehemaligen Ehegatten gestört. Auf die weiteren Schilderungen der ehemaligen Eheleute hinsichtlich der Ausgestaltung der Arbeitsteilung währen der Ehezeit kommt es daher nicht mehr an.