Mitwirkende Betriebsgefahr für Schäden durch genötigten Fußgänger
Ein PKW-Fahrer muss sich eine Mithaftung anrechnen, wenn er auf ein Fußgänger zufährt und dieser die Motorhaube beschädigt. Der PKW-Fahrer darf sich den Weg nicht „frei räumen“.
AG Ludwigshafen, Urteil vom 13.9.2017 – 2 h C 42/17
Sachverhalt
Die Kl. ist Eigentümerin und Halterin eines Pkw, Erstzulassung 2004.
Der Ehemann der Kl., der Zeuge A, stellte den Pkw der Kl. im absoluten Halteverbot hinter dem Beklagtenfahrzeug. Als der Zeuge nach Erledigung von Einkäufen wieder in den Pkw einstieg und losfahren wollte, stellte sich der Bekl. vor das Fahrzeug der Klägerin. Der Zeuge fuhr sodann mit dem Pkw auf den Bekl. zu, um diesen dazu zu bringen, den Weg freizumachen. Der Bekl. schlug sodann mit der Faust auf die Motorhaube des Pkw. Der Zeuge A setzte anschließend zurück und fuhr aus der Parkposition heraus. Die von dem Zeugen verständigte Polizei stellte nach Eintreffen um 11.45 Uhr eine Delle auf der Motorhaube des Pkw fest. Die Kl. ließ Reparaturen an der „Frontklappe“ des Pkw für brutto 1079,04 Euro ausführen. Mit Anwaltsschreiben vom 2.8.2016 forderte die Kl. den Bekl. zur Zahlung von 1281,04 Euro nebst Anwaltskosten bis 15.8.2016 auf.
Die Klage hatte zum Teil Erfolg.
Begründung
Der Bekl. haftet für die durch den Schlag auf die Motorhaube des Klägerfahrzeugs verursachten Schäden wegen schuldhafter Beschädigung des Eigentums gem. § 823 BGB, ein Rechtfertigungsgrund greift nicht ein. Die Kl. muss sich jedoch eine vorwerfbare hälftige Mitverursachung des Schadens im Rahmen der Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs zurechnen lassen.
Indem der Zeuge A mit dem Kraftfahrzeug auf den Bekl. zugefahren ist, um diesen zum Weggehen zu zwingen, hat er – auch ausgehend vom Vortrag der Kl. – durch Einsatz des Fahrzeugs als körperliche Gewalt die Straftat der Nötigung (§ 240 StGB) verwirklicht, insbesondere war die Gewaltanwendung zur Erreichung dieses Zwecks iSd § 240 II StGB verwerflich. Verwerflichkeit in diesem Sinne ist ein erhöhter Grad sozialethischer Missbilligung der für den erstrebten Zweck angewandten Mittel, was auf Grund einer umfassenden Abwägung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls und einer darauf aufbauenden Gesamtwürdigung des Wertverhältnisses und des sachlichen Zusammenhangs von Zweck und Mittel zu beurteilen ist.
Bei der Nötigung eines Fußgängers mittels eine Kraftfahrzeugs, um diesen zum Beiseitetreten zu bringen, kann es zwar an der Verwerflichkeit in Fällen fehlen, in denen der Fußgänger rechtswidrig eine Parklücke blockiert und es nicht zu einer ernsthaften Gefährdung kommt. Das Zufahren auf den Bekl. diente daher keinem billigenswerten Zweck und war den Umständen nach völlig unangemessen. Unerheblich ist auch, ob der Bekl. erst nach dem Abstellen des Klägerfahrzeugs Pylone umgestellt habe, zumal anschließend der erste Pylon noch immer in einem großzügigen Abstand von bis zu einem Meter zu dem Fahrzeug gestanden haben soll.
Gleichwohl war der Bekl. nicht berechtigt, das Fahrzeug durch einen Schlag auf die Motorhaube zu beschädigen, um das Heranfahren zu stoppen, das Handeln ist nicht durch Notwehr gerechtfertigt. Notwehr ist gem. § 227 BGB (entspricht § 32 StGB) diejenige gebotene Verteidigung, welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. Ein rechtswidriger Angriff lag zwar vor. Ob der Schlag im gesetzlichen Sinne erforderlich war, also das mildeste Erfolg versprechende Gegenmittel darstellte, ist jedoch fraglich, wenn nicht abschließend geklärt ist, wo sich zu diesem Zeitpunkt das Fahrzeug befand und inwieweit es zuvor in Bewegung war. Jedenfalls fehlt es an der Gebotenheit der Verteidigungshandlung. Bei der Voraussetzung der Gebotenheit geht es um sozialethische Einschränkungen des Notwehrrechts, die letztlich in dem Verbot des Rechtsmissbrauchs begründet sind; danach kann im Einzelfall dem Angegriffenen ein Ausweichen oder sogar die Duldung des Angriffs zumutbar sein, wenn das Rechtsbewährungsinteresse des Notwehrrechts nicht oder nur wenig betroffen ist. Typische Fälle sind schuldlose oder unerhebliche Angriffe oder eine so genannte Notwehrprovokation. Wer schuldhaft einen Angriff auf sich provoziert, darf auch dann, wenn er insoweit nicht vorsätzlich gehandelt hat, nicht bedenkenlos von seinem Notwehrrecht Gebrauch machen; die Notwehreinschränkung in solchen Fällen hängt davon ab, ob er dem Angriff ausweichen kann oder ob er über ein Ausweichen zum Einsatz eines weniger gefährlichen Verteidigungsmittels gelangen kann.
Der Schlag ist zurechenbar durch den Betrieb des Kraftfahrzeugs mitverursacht worden. Gemäß § 7 StVG ist der Halter eines Kraftfahrzeugs, wenn bei dessen Betrieb ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt wird, zum Schadensersatz verpflichtet, auf ein Verschulden kommt es nicht an. Der Begriff des Betriebs eines Kraftfahrzeugs ist weit zu fassen. Ausreichend ist, dass ein naher örtlicher und zeitlicher Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht und bei wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit-)geprägt worden ist, es muss sich um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handeln, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll. Eine Fahrzeugberührung ist nicht erforderlich, zurechenbar sind danach auch Schäden, die durch eine objektiv nicht erforderliche Ausweichreaktion ausgelöst werden, selbst wenn die Ausweichreaktion aus Sicht des Geschädigten nicht subjektiv erforderlich war oder sich als einzige Möglichkeit zur Vermeidung einer Kollision dargestellt hat. Auch sonst ist die Zurechnung zur Betriebsgefahr regelmäßig nicht unterbrochen, wenn der Schaden erst durch ein gefahrträchtiges oder aber rechtswidriges und sogar vorsätzliches Verhalten des Geschädigten selbst oder Dritter eingetreten ist. Wird umgekehrt ein Kraftfahrzeug bei dessen Betrieb schuldhaft durch einen anderen (jedoch nicht durch ein anderes Kraftfahrzeug) beschädigt, ist die gegebenenfalls durch ein schuldhaftes Fehlverhalten des Fahrers erhöhte Betriebsgefahr gegen das Verschulden des Schädigers nach §§ 823, 254 BGB abzuwägen.
Danach ist der Schaden am Pkw der Betriebsgefahr zuzurechnen. Die Schadensentstehung erfolgte unmittelbar beim technischen Betrieb des Fahrzeugs bei laufendem Motor und begonnenem Ausparkvorgang. Bei wertender Betrachtung ist der Schaden durch den Betrieb des Fahrzeugs mitgeprägt worden, es ist hierzu nur deshalb gekommen, weil der Zeuge A es unternahm, den Bekl. durch Zufahren mit dem Fahrzeug von seinem Standort wegzudrängen. Dass derjenige, der in solcher Weise durch ein Fahrzeug genötigt und jedenfalls potenziell erheblich gefährdet wird, mit einem Schlag gegen das Fahrzeug reagiert, war nach allgemeiner Lebenserfahrung vorhersehbar, keinesfalls unwahrscheinlich und insoweit direkte Folge des Fahrverhaltens des Klägerfahrzeugs. Ebenso wie der Bekl. damit rechnen musste, dass sein Verhalten den Zeugen A dazu provozieren könnte, zu versuchen, ihn durch Zufahren mit dem Fahrzeug wegzudrängen, musste der Zeuge damit rechnen, dass der Bekl. diesem Verhalten handgreiflich begegnen, also der Einsatz des Kraftfahrzeugs als Mittel der Gewaltanwendung sozusagen „nach hinten losgehen“ könnte.
Bei Abwägung des Verschuldens des Bekl. einerseits und des der Kl. im Rahmen der Betriebsgefahr zuzurechnenden Verschuldens des Zeugen A andererseits ist eine hälftige Teilung der Haftung angemessen. Weder tritt, insbesondere im Hinblick auf die (potenzielle) Gefährlichkeit des Fahrverhaltens des Klägerfahrzeugs, dessen Betriebsgefahr hinter ein überwiegendes Verschulden der Beklagtenseite zurück, noch ist ein Zurücktreten des Verschuldens des Bekl., der vorsätzlich auf das Fahrzeug eingeschlagen hat, gerechtfertigt. Bei wertender Betrachtung beruhte der Vorfall vielmehr auf beiderseits ungefähr in gleichem Maße vorwerfbarem Verhalten. Eine Haftung des Bekl. für den Schaden zu 50 % ist danach angemessen und ausreichend. Wäre das Mitverschulden des Zeugen A im Übrigen nicht der Kl. zurechenbar, wäre der Zeuge in entsprechendem Umfang dem Bekl. gem. §§ 840, 426 BGB zur Erstattung bzw. zur Freistellung von der Klageforderung, gegebenenfalls nebst anteiliger Prozesskosten, verpflichtet.