Haftungsverteilung Kfz und Fußgänger
OLG München, Urteil vom 16.9.2016 – 10 U 750/13
- Auch auf einem Fußgängerüberweg darf ein Fußgänger seine Bevorrechtigung gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern weder erzwingen noch achtlos auf den Überweg treten; ein Verstoß gegen dieses Verhaltensgebot kann dem Fußgänger zum Mitverschulden (§ 9 StVG, § 254 BGB) gereichen.
- Kommt es bei einem Verkehrsunfall zur Kollision zwischen einem Fußgänger, der einen Fußgängerüberweg im Dunkeln und bei Annäherung eines Fahrzeugs überquert, mit einem Fahrzeug, dessen Fahrer die Bevorrechtigung des Fußgängers missachtet und mit nicht angepasster Geschwindigkeit fährt, rechtfertigt das Mitverschulden des Fußgängers eine Haftungsverteilung von 3/4 zu 1/4 zu Lasten des unfallbeteiligten Fahrzeugführers
Die straßenverkehrsrechtlichen Sorgfaltspflichten eines Kraftfahrers gegenüber Fußgängern, die die Fahrbahn queren wollen, bestimmen sich nach folgenden Grundsätzen:
– Der Kraftfahrzeugverkehr ist gegenüber Fußgängern bevorrechtigt (§ 25 III StVO), sofern nicht, ein Fußgängerüberweg (§§ 25 III 1; 41 I StVO, Anlage 2, Zeichen 293) vorliegt (§ 26 I StVO).
– In jedem Fall hat der Kraftfahrer die allgemeinen Verkehrsregeln zu beachten, insbesondere Geschwindigkeitsvorschriften (§ 3 I 2, III StVO; vgl. OLG Düsseldorf NZV 1994, 70), das Sichtfahrgebot (§ 3 I 4 StVO; vgl. BGH NJW 1984, 50 ff. [51 unter 2 c]) und das Rücksichtnahmegebot (§ 1 II StVO). In diesem Rahmen hat er den gesamten Verkehrsraum, auch bezüglich von links kommender Fußgänger, sorgfältig zu beobachten, sowie rechtzeitig und richtig auf etwaige Fehler anderer Verkehrsteilnehmer zu reagieren. Bei unachtsamem Verhalten eines Fußgängers bestehen Brems- und Ausweichpflicht, sowie die Notwendigkeit, die Geschwindigkeit herabsetzen, sobald der Fahrer sieht, dass ein Fußgänger die Straße betritt. Letztere Verpflichtung besteht auch bei witterungsbedingten Sichtbeeinträchtigungen.
– Gegenüber Fußgängern, die aus Sicht des Kraftfahrzeugführers von links kommend eine mehrspurige Fahrbahn überqueren wollen, gelten die oben genannten Verpflichtungen im Grundsatz gleichermaßen. Darüber hinaus darf sich ein Kraftfahrer nicht ohne weiteres darauf verlassen, dass Fußgänger in der Fahrbahnmitte oder vor seiner Fahrbahnbegrenzung noch warten werden, um ihn vorbeifahren zu lassen. Eine abweichende Bewertung kommt nur in Betracht, wenn Sonderfälle wie etwa ein Abwarten des Fußgängers auf einer Verkehrsinsel, ein Hervortreten des Fußgängers hinter einem Verkehrsstau oder eine Vernachlässigung eines naheliegenden Fußgängerüberwegs vorliegen. Selbst wenn jedoch ein derartiger Vertrauensschutz angenommen werden kann, beseitigt dieser einerseits nicht die Verpflichtung, die gesamte Fahrbahn zu beobachten, um rechtzeitig auch wegen der in solchen Fällen gegebenen Abstandsverkürzung reagieren zu können und zwar zu dem Zeitpunkt, zu welchem der Fußgänger die Fahrbahn betritt Andererseits setzt der genannte Vertrauensgrundsatz jedenfalls ein merkliches Verhalten des Fußgängers voraus, das die Erwartung des Kraftfahrers, ihm werde die Vorbeifahrt gestattet, stützen kann.
Der Ersatzanspruch des Fußgängers darf nur gekürzt werden, wenn feststeht, dass er den Schaden durch sein Verhalten mitverursacht oder mitverschuldet hat. Bei Beachtung dieser Entscheidung sind hier nun folgende für die Haftungsverteilung maßgebliche Parameter relevant:
Von einer Haftung der Beklagten ist aus folgenden Gründen auszugehen:
Die Beklagten trifft bereits die Gefährdungshaftung. Sie haben nicht den Nachweis geführt, dass der Unfall für den Beklagten zu 1) unvermeidbar war. Darüber hinaus haften die Beklagten auch aufgrund eines Verschuldens des Fahrers. Denn dieser hat sich mit einer zu hohen Geschwindigkeit dem Fußgängerüberweg angenähert und damit gegen § 26 I StVO verstoßen.
Dem Fußgänger trifft aber ein Mitverschulden.
Das herannahende Fahrzeug war für den Fußgänger (Kläger) nämlich ausreichend lange sichtbar, so dass er bei Beachtung des Fahrverhaltens des Fahrers (ungebremste Weiterfahrt) und bei entsprechendem Verzicht auf die Überquerung des Zebrastreifens den Unfall hätte vermeiden können. Auch an Fußgängerüberwegen dürfen Fußgänger ihren Vorrang weder erzwingen, noch achtlos auf den Überweg treten. Besonders wie hier im Dunkeln hat der Überwegbenutzer den Fahrverkehr mit Sorgfalt zu beachten und bei erkennbarer Gefährdung durch nahe Fahrzeuge abzuwarten.
Im Verhältnis zur Haftung des Fahrers, welche ohnehin bereits aus Betriebsgefahr und hier darüber hinaus, wie ausgeführt, auch wegen des Verstoßes des Fahrers gegen § 26 I StVO zunächst in vollem Umfang haften, ist das Mitverschulden des Klägers (§ 1 II StVO) von geringerer Bedeutung. Das Mitverschulden des Fußgängers beschränkt sich nämlich darauf, nicht auf eine Überquerung des Fußgängerüberweges verzichtet zu haben, während der Fahrer den Vorrang des Klägers als Fußgänger an einem Fußgängerüberweg verletzt hat und dabei trotz Ortskenntnis zu schnell gefahren ist. Vor diesem Hintergrund ist eine Haftungsverteilung von 25 /75 zulasten des Fahrers angemessen.