Gekauft, wie gesehen?
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat durch Urteil vom 6.4.2016, Az.: VIII ZR 261/14 entschieden, dass der Verkäufer sich nicht auf einen Gewährleistungsausschluss gemäß § 444 BGB berufen kann, wenn der Mangel nicht sichtbar ist.
Zum Sachverhalt
Die Kl. begehrte Schadensersatz und Rückzahlung des Kaufpreises, nachdem sie den Rücktritt vom Kaufvertrag über eine Werkzeugmaschine erklärt hat. Die Kl. bearbeitet Metallwerkstücke, die Bekl. handelt mit Werkzeugmaschinen. Ende April/Anfang Mai 2009 trat die Kl. wegen des Erwerbs einer CNC-Zyklendrehmaschine an die Bekl. heran. Diese unterbreitete der Kl. am 6.5.2009 ein Angebot. Die Kl. besichtigte die Maschine am 25.5.2009 und legte dabei die Zeichnung eines zu bearbeitenden Werkstücks vor. Die anschließende telefonische Bestellung der Kl. wurde von der Bekl. mit „Auftragsbestätigung“ vom 28.5.2009 bestätigt. In diesem Schreiben heißt es eingangs:
„Wir liefern Ihnen 1 Stück fabrikneue Flachbett-CNC Zyklendrehmaschine […]. Im Zustand wie in unserem Lager in St. vorhanden und von Ihnen am 25.5.2009 besichtigt. Technische Daten wie in unserem Angebot vom 6.5.2009. Inkl. folgendem Zubehör: […].“
An späterer Stelle findet sich in der „Auftragsbestätigung“ unter dem Stichwort „Garantie“ folgender Passus:
„12 Monate auf die Maschine und 24 Monate auf die S. CNC Steuerung.“
Die Kl. reichte die „Auftragsbestätigung“ nach Gegenzeichnung an die Bekl. zurück. Die Finanzierung des Geschäfts erfolgte über eine Leasinggesellschaft, die den Kaufpreis von 55.000 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer an die Bekl. bezahlte. Die Maschine wurde am 4.6.2009 an die Kl. ausgeliefert. Die Mitarbeiter der Kl. wurden in die Benutzung eingewiesen. In der Folgezeit beanstandete die Kl., dass die Maschine Werkstücke entsprechend der von ihr bei der Besichtigung vorgelegten Zeichnung nicht zufriedenstellend bearbeiten könne und deshalb den vorgesehenen Zweck der Serienproduktion von Achsen nicht erfülle. Von der Bekl. vorgenommene Nachbesserungsarbeiten führten nicht zu dem von der Kl. gewünschten Erfolg. Die Bekl. wies eine Verantwortung für die von der Kl. beanstandete raue (schlechte) Oberfläche der bearbeiteten Werkstücke zurück. Nach Abschluss des im November 2010 eingeleiteten selbstständigen Beweisverfahrens trat die Kl. mit Anwaltsschreiben vom 29.9.2011 vom Vertrag zurück. Sie hat – gestützt auf kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche und Verletzung von Beratungspflichten – Ersatz entgangenen Gewinns iHv 59.154,95 Euro nebst Zinsen sowie die Rückabwicklung des Kaufvertrags (Zahlung von 62.177,50 Euro nebst Zinsen an die Leasinggesellschaft Zug um Zug gegen Rückgabe der Zyklendrehmaschine) begehrt. Die Bekl. hat im Wege der Widerklage Zahlung von 12.900,08 Euro nebst Zinsen für die ihr entstandenen Kosten der Überprüfung der Maschine verlangt.
Das LG Karlsruhe (Urt. v. 30.11.2012 – 8 O 115/12) hat Klage und Widerklage abgewiesen. Das OLG Karlsruhe (Urt. v. 20.8.2014 – 12 U 19/14, BeckRS 2016, 07843) hat die Berufung der Kl. zurückgewiesen. Die Revision der Kl. hatte Erfolg und führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Aus den Gründen
Ansprüche der Kl. auf Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe der Maschine sowie auf Ersatz entgangenen Gewinns (§§ 437 Nr. 2, 3, 440, 323 und 280 I BGB), die auf einen Mangel der Kaufsache gem. § 434 I 2 Nr. 2 BGB gestützt sind, können – entgegen der Auffassung des BerGer. – nicht wegen eines vertraglich vereinbarten Ausschlusses der Gewährleistung verneint werden.
Von Rechtsfehlern beeinflusst ist die weitere Annahme des BerGer., dass der Kl. auch im Fall einer – vom BerGer. ausdrücklich offengelassenen – Abweichung der Beschaffenheit der Maschine von der üblichen Beschaffenheit (§ 434 I 2 Nr. 2 BGB) keine Gewährleistungsrechte zustünden. Entgegen der Auffassung des BerGer. kann dem im Eingang der „Auftragsbestätigung“ enthaltenen Besichtigungshinweis kein Ausschluss jeglicher Gewährleistung der Bekl. entnommen werden.
Nach § 434 I 2 Nr. 2 BGB ist eine Sache frei von Sachmängeln, wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer erwarten kann. Nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachvortrag der Kl. ist die für den gewerblichen Gebrauch bestimmte Maschine von Beginn an generell nicht in der Lage gewesen, Werkstücke einwandfrei zu bearbeiten, für die eine solche Maschine üblicherweise eingesetzt wird oder ausgelegt ist. Im Gegenteil habe sie nicht einmal Werkstücke akzeptabel bearbeiten können, die nur die Hälfte des in dem von der Bekl. mitgelieferten Datenblatt genannten Gewichts und weder eine Unwucht noch die Bearbeitung erschwerende sonstige Besonderheiten aufgewiesen hätten. Unter diesen revisionsrechtlich zu unterstellenden Umständen ist die Maschine jedenfalls iSv § 434 I 2 Nr. 2 BGB mangelhaft.
Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist es für diesen revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachverhalt unerheblich, dass das LG in seinem Urteil aufgrund der von ihm vorgenommenen Würdigung des eingeholten Sachverständigengutachtens zu dem Ergebnis gelangt ist, die Maschine sei lediglich „leicht gebaut“, aber nicht „generell ungeeignet“. Denn diese Würdigung hat die Kl. in der Berufungsbegründung unter Hinweis darauf angegriffen, dass die Maschine – wie das Gutachten ergeben habe – nicht einmal die im Datenblatt der Bekl. beschriebenen Werkstücke zufriedenstellend bearbeiten könne. Im Hinblick auf diesen Einwand hat das BerGer. die Beurteilung des LG zu einer fehlenden Mangelhaftigkeit der Maschine nach § 434 I 2 Nr. 2 BGB gerade nicht übernommen, sondern ausdrücklich offengelassen.
Entgegen der Auffassung des BerGer. haben die Parteien mit der streitigen Klausel („Im Zustand wie in unserem Lager […] vorhanden und von Ihnen […] besichtigt“) keinen vertraglichen Ausschluss jeglicher Gewährleistung für die von der Kl. zum Preis von 55.000 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer erworbenen neuen Maschine vereinbart.
Die Auslegung des vertraglichen Gewährleistungsausschlusses durch das BerGer. unterliegt, selbst wenn es sich – wovon das BerGer. hier ersichtlich ausgeht – um eine Individualvereinbarung handelt, in der Revisionsinstanz jedenfalls einer (eingeschränkten) Nachprüfung darauf, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind oder wesentlicher Auslegungsstoff außer Acht gelassen wurde oder die Auslegung auf mit der Revision gerügten Verfahrensfehlern beruht (stRspr, vgl. Senat, BGHZ 202, 39 = NJW 2014, 2864 Rn. 4; NJW-RR 2015, 264 Rn. 37 mwN). Das ist hier der Fall.
Das BerGer. hat bereits nicht erwogen, ob der einleitende Passus der „Auftragsbestätigung“ angesichts der an späterer Stelle in eine gegenläufige Richtung weisenden Garantie der Bekl. nach dem insoweit maßgeblichen Empfängerhorizont der Kl. überhaupt als ein Gewährleistungsausschluss verstanden werden kann oder ob darin nicht etwa nur ein warenbeschreibender Hinweis auf den im Zuge der Besichtigung konkretisierten und damit ausgesonderten Liefergegenstand (vgl. § 243 II BGB) gelegen hat. Schon der Wortlaut der Vereinbarung, der ausschließlich auf den Zustand „wie besichtigt“ abstellt, spricht gegen einen umfassenden Gewährleistungsausschluss. Zudem hat das BerGer. nicht bedacht, dass Freizeichnungsklauseln – als Ausnahme von der sich aus dem dispositiven Recht ergebenden Haftung – grundsätzlich eng auszulegen sind (BGH, NJW 1978, 261 = WM 1977, 1351 [unter II a]; WM 1980, 444 = BeckRS 1980, 30384633 [unter II 2 a]; BGHZ 158, 354 [366] = NJW-RR 2004, 1243, jew. mwN).
Gewährleistungsausschlüsse, die durch die Wendung „wie besichtigt“ an eine vorangegangene Besichtigung anknüpfen, beziehen sich in aller Regel nur auf bei der Besichtigung wahrnehmbare, insbesondere sichtbare Mängel der Kaufsache. Wird dabei zugleich der Bezug zu einer Besichtigung des Käufers hergestellt, kommt es auf die Wahrnehmbarkeit des Mangels durch ihn und nicht darauf an, ob eine sachkundige Person den Mangel hätte entdecken oder zumindest auf dessen Vorliegen hätte schließen können und müssen.
Um derartige, bereits bei einer bloßen Besichtigung der Maschine im Lager der Bekl. wahrnehmbare Mängel streiten die Parteien indes nicht. Vielmehr macht die Kl. grundlegende Mängel der Funktionsfähigkeit und der Konstruktion geltend, die erst später im laufenden Betrieb der Maschine bei der Bearbeitung verschiedener Werkstücke erkennbar geworden seien. Demgegenüber hatte die in der „Auftragsbestätigung“ angesprochene Besichtigung nur in einer bloßen Sichtprüfung ohne Funktionstest bestanden.
Nach alledem kann das Urteil des BerGer. keinen Bestand haben; es ist daher aufzuheben (§ 562 I ZPO). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, weil das BerGer. – vor dem Hintergrund der von ihm vertretenen Rechtsauffassung folgerichtig – keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob die streitige Maschine nach § 434 I 2 Nr. 2 BGB (fehlende Eignung für die gewöhnliche Verwendung und fehlende Beschaffenheit, die für Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer erwarten kann) mangelhaft ist. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das BerGer. zurückzuverweisen (§ 563 I 1 ZPO).
Praxishinweis:
Der BGH hat einen Mangel darin gesehen, dass die Maschine nicht für die Bearbeitung von Werkstücken geeignet war. Die in dem Vertrag aufgenommene Besichtigungsklausel schließt aber nicht jede Art von Gewährleistungsrechten aus. Dies ist meines Erachtens auch gerecht. Denn der Käufer kann nicht jeden Mangel ohne das Fachwissen eines Sachverständigen erkennen. In diesem Fall war der Käufer schlicht und einfach nicht in der Lage die Funktionsfehler der Maschine beim Kauf bzw. bei der Besichtigung vor dem Kauf zu erkennen. Die Gewährleistung ist aber im Bezug auf erkennbare Fehler wirksam ausgeschlossen worden.